Interview                                                                    N o v e m b e r   04

Frage: Herr Lübke, in Ihren vergangenen Ausstellungen haben Sie immer wieder ein Thema in den Vordergrund gestellt. Können Sie uns davon berichten?

Seit 1997 folge ich in meiner Kunst einem Thema: Der Zustand des Zim-Zum. Es ist mir ein Zuhause geworden, wie die sogenannte Notwendigkeit, auf die sich die Künstler gerne beziehen. Ich spüre endlich Entsprechung. Es ist ein Handeln und Formen zugleich und jede neuentstandene Plastik reiht sich in ein Großes- Ganzes, oft mit Überraschungen. Ich möchte einige Beispiele nennen: Da ist ein Kokon. In diesem Objekt scheint sich etwas zu entwickeln. Innere Prozesse sind zu erahnen. Von der Seite gesehen beginnt es von unten nach oben zuerst mit einer hauchzarten Linien, die sich zunehmend als Fläche in den Raum wölbt. Da ist eine Schöpfkelle. Sie ist angelegt, in die Tiefe zu gehen und Substanzen der inneren Erde zu bergen oder Flüssigkeiten zu schöpfen. Da ist ein dem Wespennest ähnliches Gebilde. Ich nenne es Behausung des Geistes. Es bietet dem geistigen Wind Raum, sich dort zu verlieren, um jeden Moment wieder davon ziehen zu können. Da ist eine Bare. Sie lässt sich nur durch zwei Menschen tragen. In der Mitte dieser befindet sich eine eingelassene Schale, versehen mit länglichen Öffnungen. Es hat als Vorgang mit dem Trennen unterschiedlicher Substanzen zu tun. Festes wird in der Schale zurück bleiben, während Flüssiges oder feines Material wie bei einem Sieb abfließen kann. Da ist ein Keil, so groß wie meine eigene Körpergröße. Der Keil mit der Funktion zu spalten, der selbst Spannung aufbaut und sie zu gegebener Zeit plötzlich löst. Im Alltag beim Holz machen erfahrbar. Oder der Keil als Türhalter, der immer passgerecht den Spielraum beendet. Am Keil sind Spannungsstufen abzulesen. Da ist ein Hochstuhl. Der Quader ragt in die Höhe. In der sich oben befindlichen Ruheschale ist ein Sitzen nicht möglich. Zeit zum Nachdenken, aber nicht zum Schlafen. Da ist ein geöffneter Kegel, mit einem Stiel versehen. Zwei Funktionen sind in diesem Werkzeug vereint: gebrauchsfähig für das Perforieren von Erde, Platz machen für Setzlinge, Anbau ... und das Ausschaben und Erweitern von Löchern, Proben entnehmen, untersuchen; oder gezieltes Schöpfen. Da ist eine Grabesschaufel. Graben, Kratzen, Schaben und Schaufeln, Oberflächen beschädigen, öffnen und abtragen, um Neues entdecken. Da ist ein Lauscher. Zwei Trichter in entgegengesetzten Richtungen. Der eine mit einem Resonanzkasten bestückt, um die empfangene Akustik zu verstärken. An die Wand gehängt entnimmt er Geräusche eines anderen Raumes, und schafft zu seinem eigenen Raum Verbindung. Auf die Erde gelegt gewährt er das Lauschen irdischer Bewegungen. Oder ist es der Versuch eines Lauschangriffs? Da ist ein Ruder, nachempfunden dem Ruder eines kleinen Schiffes am Bodensee. Das Ruder als Steuer, richtungsweisend. Losgelöst aus dem Kontext einem Vogel ähnelnd. Da ist ein Speer, weit über die Länge meiner Köpergröße hinaus. Zielen und Treffen liegt dem Willen zugrunde.

Frage: Sie haben Werkzeuge zu einem Thema gemacht. Warum beziehen Sie sich auf Handlungsgegenstände? Was hat das alles mit dem Zim-Zum Zustand zu tun?

Das finde ich sehr schön formuliert. Im Grunde geht es mir um Handlungen und Handlungsbezüge. Auf der Suche nach Spiritualität brachte mich die Schwesterreligion, das Judentum weiter. In Israel absolvierte ich meinen Friedensdienst als Zivildienst. Dadurch entdeckte ich in der Auseinandersetzung mit der jüdischen Mystik den Begriff Zim-Zum, die Idee dazu lässt sich ungefähr so umschreiben: „Ein Akt , in dem Gott sich in sich selbst verschränkt, sich auf sich selbst zurückzieht...“ Meine Interpretation ist die: Gott ist in der Abwesenheit präsent. Der Akt des Zim-Zum ist für den Mystiker Luria die einzige Garantie dafür, dass irgend etwas da ist, das nicht ganz und durchaus Gott in seiner reinen Weisheit selber ist. Und hier wird es für mich interessant. Durch den Rückzug des Göttlichen kommt der Mensch ins Spiel. Dieses Vakuum zu füllen, den verlassenen geistigen Raum einzunehmen, darum geht es mir. Die Leere gestaltend füllen. Die Leere, die Leere, die Leere, letztlich geht es doch um die Suche, Leere zu füllen. Und das ist gerade durch Handeln möglich, in der ursprünglichen Bedeutung- mit der Hand. Ich glaube an Spiritualität. Für mich durchaus ein Weg der Leere entgegenzutreten. Die Enge des tradierten Bezugssystem christlicher Glaube, wie ich sie in meiner Erziehung erlebte, lehne ich allerdings ab. Die Entfaltung der Spiritualität kann für mich am ehesten geschehen, wenn es heißt: Gott ist in seiner Abwesenheit präsent. Es, das Göttliche, bedrängt mich nicht. Lässt mir genug Freiheit, um mir nahe zu sein. In diesem Spannungsmoment also bin ich auf mich gestellt. Die Eigenverantwortung schält sich heraus. Nicht: Ich ergebe mich in den Willen einer Göttlichkeit, „Dein Wille geschehe!“ sondern ich werde gefordert, tätig zu werden, zu handeln. Sowohl die Unverfügbarkeit Gottes als auch meine Unverfügbarkeit sollen unangetastet sein. Vielleicht ist das das eigentlich verbindende zwischen der Göttlichkeit und mir, obwohl es offensichtlich trennt.

Frage: Ist es für Sie kein Verlust, ohne richtige Bildhauerwerkzeuge zu arbeiten?

Nein. Im Akt der Gestaltung meiner Plastiken werden meine Hände selbst zum Werkzeug. Leises Arbeiten bestimmt meinen Vorgang bei der Arbeit. Zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich, sozusagen im Verborgenen. Ahnungen, Anstöße, Ideen entwickeln sich meist anhand von Skizzen. Die Hand spricht, nicht der Kopf oder der Bauch. Es ist die Hand. Die Unmittelbarkeit ist bei der Gestaltung immer spürbar. Inhaltlich taucht ein wesentlicher Aspekt auf. Die Eigenverantwortung rückt in den Vordergrund. Im Prozess des Gestaltens wird das Handeln Gegenstand der Durchführung. Erweiterbar auf´s Leben: Die Präsenz des Augenblicks, die Unmittelbarkeit, im Sozialen gleichermaßen wie in der Kunst verdichtet die Aktionsfelder, denen ich ausgesetzt bin und die ich selber suche.

Frage: Ihre Plastiken erinnern an afrikanische Kultgegenstände. Sie sind so dunkel wie afrikanisches Holz. Ist das von Ihnen beabsichtigt?

Afrika, der Erdteil, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, hinterließ in mir viele Eindrücke, die jetzt plötzlich aufgetaucht sind und an Bedeutung gewinnen. Der Umgang mit primitiven Werkzeugen der Eingeborenen bei der Jagd, in der Küche, für den Anbau beeindruckten mich. Ich war selber sehr überrascht und berührt. Um so mehr spürte ich den neuen Weg als den richtigen. Auf meiner persönlichen Suche nach Spiritualität fügen sich in einem vorläufigen Überblick Afrika, Israel und Deutschland als biographischen Bezüge nahtlos in dieses Projekt.

Frage: Wie sind Sie also zur Skulptur gekommen? Sie haben mit dem Tiefdruck angefangen. Ihre erste Radierung entstand mit 18, Zeichnen und Malen waren selbst gewählte Ausdrucksmittel. Sie haben den Maler Shmuel Shapiro kennen gelernt. Durch ihn haben sie Grunderfahrung des Sehens gemacht. Das war vor ziemlich genau 20 Jahren. Wann haben Sie gemerkt, dass etwas anderes dran ist?

Schon vor 10 Jahren spürte ich eine Affinität Objekten gegenüber. Ein Beispiel dafür waren Hammer und Amboss: In meinem Atelier stand ein Amboss. Er vermittelte mir Ruhe und Gelassenheit. Auch in dem Bewusstsein, mich in ihm bildnerisch fallen zu lassen. Ich setze mich vor ihn und zeichnete. Hatte eine ganz besondere Erfahrung mit dem Amboss. Er stand im Holzschuppen. Eines Tages wollte ich ihn unbedingt in meinem Arbeitsraum haben. Ich packte ihn, stellte aber fest, dass es allein nicht machbar sei. So stand ich vor ihm und betrachtete ihn genau. Während dessen spürte ich einen Willen, es doch zu schaffen. Ich sammelte meine Kräfte und versuchte es erneut. Ich zog ihn zu mir hoch, entgegen der so mächtigen Masse, lief ohne abzusetzen die Treppen hoch und stellte ihn vorsichtig ab. Es war als ob er mit jedem Schritt leichter wurde, oder ich stärker?! Auf jeden Fall leistete er mir jetzt Gesellschaft.

Frage: Wie kam es denn jetzt nun zu dieser Umorientierung?

Die entstehenden Plastiken wurden aus meiner Malerei bzw. aus meinen Radierungen geboren. Neben Hammer und Amboss tauchten in diesen Jahren weitere Objekte auf. Ein Schraubstock, eine Kohleschaufel, ebenso Stuhl und Tisch. 1996 malte ich das Schlüsselbild für mich und meinen neuen Weg. Das Bild heißt „Auferstehung“. In der Mitte des Bildes tauchte ein Objekt auf, dass inhaltlich in viele Richtungen zu deuten war. Für mich eine gleitende Form, einem Boot ähnlich. Mein Anliegen formte sich sehr konkret. Ich musste den zweidimensionalen Raum verlassen.

Frage: Haben Sie sofort Ihre Ausdrucksform geändert?

Nein, das ging nicht so schnell. Ich ließ mir Zeit. Zunächst mit Ton, dann mit Holz traute ich mich in die dreidimensionale Welt. Die Abnabelung verlief schrittweise. WandObjektMalerei WOM zeigte sich als wichtiges Bindeglied. Längliche, minimalistisch angelegte, abstrakte Objekte aus Karton boten zu bemalende Flächen. Gleichzeitig suchte sich die jeweilige Form behutsam aber deutlich den umgebenden Raum. Einige Monate später begann ich ebenfalls aus Karton geformte handgroße Objektfiguren durch Reißen, Runden und Knicken ineinander zu verleimen. Unterstützt wurde der Prozess durch die Erfahrungen mit dem Tiefdruck. Ohne meine Radierungen wäre ich nicht auf die eigentliche Grundierung (flüssiger Teer) gekommen. In einem bestimmten Mischungsverhältnis wird der sogenannte Ätzgrund mehrmals auf die Skulptur aufgetragen. Überraschend war das Zusammenspiel der mit dem Leim geschlossenen und den unbehandelten, offenen Poren des Kartons. Wie ein Beobachter verfolgte ich anfangs die Entwicklungsschritte, die ich im Laufe der Zeit bewusster als Methode einsetzte.

Frage: Haben sich inzwischen Schwerpunkte in Ihrer Arbeit entwickelt?

Ja, ganz grob möchte ich sie in folgende Werkgruppen unterteilen:

  • - Werkzeuge
  • - Fort-Bewegung
  • - Masken
  • - Stille
  • - Metaphern (als weitere Ausführung möglich)

Frage: Können Sie einige Aspekte zu diesen Werkgruppen sagen?

Insbesondere in Werkgruppe Werkzeuge erkenne ich implizierte Bewegungen, einen individuellen Bewegungsindex. Die Form bestimmt die damit verbundene Bewegungsstrukturen. Über die Betrachtung können Handlungsabläufe und Bewegungsräume als Vorstellung geweckt und innerlich spürbar werden. Die Form eines Objektes eröffnet Assoziationen. Entsprechend der Objekte werden spezielle Bewegungsformen erlebbar, also mental durchführbar. Es sind Versuche, meinen eigenen Seelenzustände in unterschiedlicher Weise zu begegnen und ihnen näher zu kommen. Es handelt sich um Wege, Aspekte vom Inneren zu erkennen. Eine Barke beispielsweise beinhaltet einen anderen Ausdruck, als ein Speer. Passive und aktive Elemente sind Teile eines Geschehens, eines Menschen, eines Prozesses.

 

Frage: Das klingt jetzt etwas abstrakt. Was hat ein Werkzeug mit der Seele zu tun?

Wie soll ich das erklären? Wenn wir uns einen Hammer anschauen, begegnen uns doch Bewegungsmuster, die nur dem Werkzeug Hammer eigen sind. Eine Zange oder ein Besen haben wieder andere individuelle Bewegungsarten. Sie sind kraftvoll-schlagend oder ruhig-gleitend. Unterstützt wird die mentale Wahrnehmung, wie ich sie bezeichnen möchte, durch die beim Betrachten in der Vorstellung erzeugten Klänge, Geräusche, ... die gehört werden könnten, wenn sie benutzt werden. Seelische Zustände haben etwas damit gemein. Die Seele sucht Lautes, Stilles, Schrilles, Getragenes oder Offensives.

 

Frage: Wann wird Ihr Projekt beendet sein?

Schwer zu sagen. Solange bis die Hände Neues verlangen. Aber das sieht zur Zeit nicht danach aus. Es gibt nicht nur das Einzelne, sondern die Summe meiner Plastiken. Beflügelnd ist der jeweils unterschiedlich dargestellte Zusammenhang, in dem die Objekte erscheinen. Ohne die vermeintliche Ordnung im Atelier erscheint die Zusammenstellung wie ein Schrotthaufen. Unter anderem Licht tauchen sie als surrealistische Werkzeuge auf und verschwinden als Meditationsobjekte. Das Arrangement gibt unterschiedlichste Vorstellungsfelder frei, die immer wieder andersartige Kräfte zur Sprache bringen können.

- Labor oder Folterkammer?

- Relikte aus der Vergangenheit oder verträumte Kurzgeschichten?

- Archäologie oder Handlungen?

- Ein endloses Spiel!

Vielen Dank für Ihre Zeit. Ihnen weiterhin alles Gute.

 

 

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